Zu Tracey Emin

Co-Referat an der Tagung "Was ist heute ein Patient? Was macht heute ein Psychoanalytiker?" in Bern am 24. Oktober 2009

24. Oktober 2009



Ich habe zugesagt, mich an die vorgegebene Zeit zu halten – 5 Minuten – deshalb geht es gleich los.

Ich bin ganz und gar einverstanden mit der Einschätzung, die Christian Kläui anhand von Melman und Berkel vorträgt, dass sich die Psychoanalyse in die Position einer Isolierung und Ablehnung gegenüber sich wandelnden gesellschaftlichen und kulturellen Erscheinungen verschanzt und dafür eine Haltung von Widerständigkeit und Subversion reklamiert. Ich bin ebenso ganz damit einverstanden, dass diese Haltung eines tragischen Heldentums dabei jedoch viel eher den Eindruck macht, dass die Psychoanalyse alt geworden ist und wie gewisse alte Männer griesgrämig und verbittert mit ihren Stöcken herumfuchtelt und gegen die Jungen loszieht, ganz so wie manche alten Frauen es zu geniessen scheinen, den jungen mit ihren Einkaufswägen im Supermarkt in die Hacken zu fahren.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es so viel besser ist, stattdessen so zu tun, als ob eigentlich gar nichts wäre, als ob die Diagnose eines Wandels viel zu voreilig und allzu aufgeregt wäre und sich alles bei genauerem Hinsehen doch nur als der altbekannte Sturm im Wasserglas, als phantasmatische Verzerrung, diesmal der Analytiker, entpuppen würde.

In der Weigerung, einen solchen Wandel anzuerkennen, versteckt sich – so befürchte ich wenigstens – ein ganz ähnlicher Konservativismus, der sich freilich bedeckter hält. Und so bin ich auch nicht sicher, ob die Betonung der leisen Stimme des Intellekts sich nicht doch gegen das Streben nach Glück und Fortschritt richtet, das eben in der Tat nicht immer nur so leise ist, sondern sich auch mit Schwung, mit Lust und Aufregung zu erkennen gibt.

Kläui greift in dieser Diskussion auf die Bemerkung Freuds zurück, dass ”wir sterblichen Menschen ”šfür eine Lustprämie”˜ das Anhängsel an das unsterbliche Keimplasma seien“. Ein solches Leben als Anhängsel, um dessen Schicksal sich der Gang der Geschichte nicht gross kümmert, würde natürlich – was meiner Meinung nach durchaus zu begrüssen wäre – eine etwas lockere, schon fast jugendliche Note in die Psychoanalyse bringen. Wenn es dann aber heisst, dass die vielen Genuss und Beherrschung versprechenden Bilder dazu ”verführen, Ungereimtheiten, Brüche und Fragen zu übergehen“, dass sich dies mit einer ”allgemeinen Tendenz der westlichen Welt zu einer – offensichtlich bedenklichen – Ablösung des linguistic turn durch einen iconic turn führt“, dann scheint mir diese Lockerheit nicht mehr ganz so gegeben zu sein und es macht eher den Eindruck, dass man eben doch glaubt, Einhalt gebieten zu müssen gegenüber diesem das Fragen abtötende Streben nach Glück und Fortschritt.

Interessant an der Bemerkung zu den sterblichen Menschen, die Anhängsel an das unsterbliche Keimplasma seien ist, dass über die Unsterblichkeit des Keimplasmas das Unendliche auftaucht. Dieses Unendliche – das hat Antonello Sciacchitano gezeigt – ist nicht nur in Mathematik und Logik nicht einfach ein gegebenes, sondern muss über Axiomatisierungen als ein sich immer weiter Ausweitendes konstruiert werden. Dabei gelten im Unendlichen nun auch besondere und eigene Gesetzmässigkeiten. Dies zeigt sich sehr schön an der logischen Schlussregel des Modus subponens. Während es bei den üblichen Schlussregeln darum geht, das Alte abzusichern, heisst es hier: ”Wenn das Alte das Neue impliziert und wenn das Neue wahr ist, dann ist das Alte beinahe wahr.“ Man könnte auch sagen: Nicht mehr ganz wahr.

Im Bereich des Unendlichen ist also das Anhängsel und seine Lustprämie nicht mehr ganz so harmlos. Es knabbert durchaus am Alten und am als ewig erscheinenden Gesetz.

Wie das nun bei den Bildern – von denen ja viel die Rede war – aussieht, möchte ich Ihnen anhand der Kunst von Tracey Emin zeigen. Dazu habe ich drei Bilder ausgewählt.


Das erste packt – könnte man sagen – alle gängigen Reizthemen und Klischees förmlich zusammen: Sexualität, Geld, Macht, Raffgier. Das ist ein Bild, das könnten Sie locker als Werbung in der Vogue sehen. Tracey Emin ist bekannt dafür, dass sie nicht nur Leben und Kunst congenial miteinander verbindet, sondern auch dafür, dass sie ihre Kunst instinktsicher auf die einträglichsten Themen ausrichtet, also bestes Marketing betreibt, dabei auch hemmungslos ihren Körper zum Einsatz bringt und ihn und ihr ganzes Leben gnadenlos – wie es manchmal heisst – für den Erfolg ihrer Kunst ausbeuten kann. Wir haben also das Inventar der Vorwürfe sowohl an die Bilder wie auch an die Einzelnen, die sich mit diesen Bildern identifizieren, beieinander: Verschmelzen mit einem vorgestanzten Bildrepertoire, Versteinerung und Fixierung darin, Ausbeutung des eigenen Körpers.


Das nächste Bild ist eines aus ihrem Atelier. Es gibt eine Verbindung zum vorigen: Wieder der nackte, vornüber geneigte Körper, wieder Utensilien um sie verstreut, diesmal sind es die Maldinge. Diese Verbindung markiert, dass dieser nackte Körper nicht einfach Material der Angleichung an die gängigen Klischees ist, sondern auch Boden und Grund ihrer Kunst. Wie und wie sehr das der Fall ist, zeigt das dritte Bild.


Hier haben wir nur ein Bett, das in der Mitte des Raumes steht, wiederum umgeben von allen möglichen Dingen. Hier ist der Körper abwesend und gleichzeitig umso anwesender. An seiner Stelle ist das Bett, in dem der Körper gelegen ist, der nackte Körper. Er ist also das Bett, in das man sich legt, das sich zum liegen und zum schlafen anbietet. Und dieses Bett ist wiederum das Atelier, in dem ihre Kunst entsteht. Der Körper ist das Bett, ist das Atelier, ist die Kunst, die aus ihm entsteht, er ist der Ort, an dem sich die Bilder weiterschreiben, an dem sich Ordnungen des Körpers, der Sexualität, der Kunst wandeln, an dem symbolische Ordnungen umgeschrieben werden.

Tracey Emin führt den Körper in seinen Verletzungen vor, dies aber nicht einfach als Einforderung von Unversehrtheit, sondern gleichzeitig als den Boden, aus dem ihre Kunst entsteht. Diese stellt die Bilder, die vorschnell als eindimensional und vereinfachend verschrien werden, in einen Kontext, der es nicht erlaubt, sie einfach als Klischees abzutun, der vielmehr das Potential aufzeigt, das ihnen und der Auseinandersetzung mit ihnen innewohnt.

Und das ist das – so meine ich –, woran uns unsere Patienten auch erinnern, wozu sie uns auch immer wieder anstossen, was sie uns einschreiben. Und diese Perspektive könnte in der Tat auch Glück und Fortschritt sein. Für uns und für die Psychoanalyse.

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